Tuesday, August 12, 2014

Ist der "Freitod" wirklich so frei?

Gestern hat sich der amerikanische Schauspieler Robin Wiliams das Leben genommen. Er hatte Depressionen und war alkoholkrank. Mein Newsfeed ist voll mit „RIP“ und Artikeln über ihn und über Depressionen und Suizid. Ich habe bisher weitesgehend vermieden Kommentare unter diesen Artikeln zu lesen (wir wissen ja alle wie das mit Internet-Kommentaren und Trollen ist). Aber ich kann mir gut vorstellen, dass der ein oder andere „Selbstmord ist eine so egoistische Entscheidung“-Kommentar dabei ist.
Ist es das? Ist es egoistisch? Und noch wichtiger: Ist es wirklich eine (freie) Entscheidung?

Für den Akt sich selbst zu töten gibt’s es mehrere Begriffe, die bekanntesten sind Selbstmord, Freitod und Suizid. Ersteres wird heutzutage weitesgehend vermieden, weil der Begriff „Mord“ eine sehr negative Konnotation hat und impliziert, dass man jemanden anderen auf die schlimmste und aggressivste Weiste verletzt. Mord gilt als das schlimmst mögliche Verbrechen (man könnte jetzt argumentieren sexuelle Gewalt/Kindesmissbrauch sei ein noch schlimmeres Verbrechen, aber darum geht’s jetzt in diesem Artikel nicht). Jemand der sich selbst umbringt, ist kein schlimmer Verbrecher, „Selbstmörder“ und Mörder sind zwei sehr unterschiedliche Paar Schuhe.

Mein liebe Tante Wiki, sagt zum Begriff Freitod: „Diese Bezeichnung geht davon aus, dass sich ein Mensch im Vollbewusstsein seines Geistes und selbstbestimmt „zur rechten Zeit“ tötet“

Ist das so? Ist man im Vollbewusstsein seines Geistes und wirklich selbstbestimmt, wenn man an Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen leidet (denn 90% aller Suizidtoten litten an einer psychischen Erkrankung)?
Ich sage: Nein, ist man nicht. Suizid (der sowohl von mir als auch von der Wissenschaft präferierte Begriff) ist keine freie Entscheidung. Sowohl beim Tod von Andreas Biermann als auch jetzt bei Robin Williams habe ich folgende Formulierung gelesen: „Er ist seiner Krankheit erlegen“. Die Formulierung find ich interessant und in gewisser Weise auch sehr passend.

Depressionen sind wie die Dementoren bei Harry Potter: Es wird einem die Seele ausgesaugt, man spürt kein Glück und keine Freude mehr, die ganze Welt ist in grau- und schwarztönen gefärbt. Entweder man ist emotional tot und spürt gar keine Gefühle mehr (kein schöner Zustand) oder man ist andauernd einer Vielzahl schlimmer, negativer Emotionen ausgesetzt. Man spürt einen ständigen, unertragbaren Schmerz. Auch sonst gelingt nichts mehr im Leben: Man ist zu antriebslos um einfachste Aufgaben (wie duschen oder einkaufen) zu erfüllen, man liegt nur noch im Bett, viele haben Schlafstörungen oder Probleme mit dem Appetit, und auch die Gedanken drehen sich andauernd nur noch darum was alles schlecht im Leben war oder ist.
Schwere Depressionen sind ein unerträglicher Zustand. Die meisten (schwer) Depressiven kommen irgendwann an einen Punkt an dem sie all das einfach nicht mehr aushalten können. Der Punkt an dem der Schmerz zu schlimm wird, an dem man nicht mehr klar denken kann, an dem man einfach nur noch will, dass alles aufhört. Aushalten ist nicht immer eine freie Entscheidung, wenn es zu schlimm wird, gibt es die Option Aushalten einfach nicht mehr.
Dazu kommt, dass ein Symptom von Depressionen auch Hoffnungslosigkeit ist. Während man in der Depression ist, ist man überzeugt, dass es nie wieder besser werden kann. So zu denken, ist Symptom der Krankheit. Wenn man also denkt, dass man den Rest seines Lebens diese Höllenqualen aushalten muss, dann ist es naheliegend, dass Suizid oft nur noch die einzig mögliche Option/Lösung scheint.
„Es gibt für alles eine Lösung“ können nur Menschen denken, die nicht in der Hoffnungslosigkeit und der schweren Depression gefangen sind.

Auch ich kenne sowohl Suizidgedanken, als auch die daraus folgenden Handlungen. Es ist ein Kampf. Man ist ständig hin- und hergerissen, gefangen in der Ambivalenz: Auf der einen Seite steht der Überlebenstrieb (der ganz schön stark sein kann, auch wenn man ihn gar nicht haben will) und andere mögliche Gründe die gegen Suizid sprechen (z.B. der Gedanke an trauerende Angehörige). Auf der anderen Seite ist der extreme Wunsch dass das unerträgliche Leid endlich vorbei ist, die Kraftlosigkeit, die Hoffnungslosigkeit. Diese Ambivalenz kann zwar lebensrettend sein, ist aber in dem Moment selbst furchtbar: Man fühlt sich zwischen den Welten gefangen, man kann nicht sterben aber auch nicht leben.

Trotz der einen immer begleitenden Ambivalenz, gibt es Momente in denen die eine Seite Überhand nimmt: Wo der Schmerz zu groß wird, der Wunsch nach Ruhe so stark, dass man nicht mehr klar denken kann, und nur noch die einzige Lösung sehen kann: Den Suizid. Irgendwann ist man die ständige Qual leid, und tut das was die einzige Option zu sein scheint.
Wenn man keine anderen Entscheidungsmöglichkeiten mehr sieht, dann ist der Suizid alles Andere als eine freie Entscheidung.

Der „Freitod“ ist einer der unfreisten Sachen, die man machen kann. Robin Williams hat sich nicht für den „Freitod“entschieden, er ist seiner Krankheit erlegen.

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