Eine Schwäche ist entweder eine fehlende körperliche Kraft, eine
körperliche Unterlegenheit einem Menschen oder einer Sache
gegenüber, oder eine charakterliche Eigenschaft die man als
unvollkommen oder verbesserungswürdig ansieht. Jeder Mensch hat
Schwächen. Sie gehören genauso zu uns, wie unsere Stärken.
Wenn doch jeder Mensch Schwächen hat, wieso fällt es uns oft so
schwer uns selbst oder vorallem anderen gegenüber sich diese
Schwächen einzugestehen? Wieso hat das Wort „Schwäche“ so eine
negative Konnotation, wenn es doch eigentlich eine ganz natürliche
Eigenschaft ist, sowohl Schwächen als auch Stärken zu haben?
Ist es das perfektionistische Bedürfnis, keine Unvollkommenheit zu
haben? Ist es der gesellschaftliche Leistungsdruck der uns
suggeriert, dass wir alles immer richtig machen müssen, dass wir in
allem gut sein müssen? Oft wird Schwäche nicht als neutrales „das
kann ich noch nicht so gut“ verstanden, sondern als grundlegender
Fehler der Persönlichkeit gewertet. Niemand hat ein Problem damit zu
sagen „chinesisch kann ich nicht“, aber charakterliche oder
persönlichere Schwächen scheinen verpöhnt. Könnte man Schwäche
nicht auch als etwas neutrales sehen, dass man genauso wie die
chinesische Sprache einfach noch nicht gelernt hat? Wer das Alphabet
nie gelernt hat, kann auch nicht Harry Potter lesen. Wir würden aber
doch auch nicht auf den Gedanken kommen einem kleinen Kind
vorzuwerfen, dass es nicht Harry Potter lesen kann. Sicherlich gibt
es die Möglichkeit das Lesen noch zu lernen. Genauso gibt es bei
vielen (nicht allen) Schwächen die Möglichkeit sie zu verändern,
und das Ungerlernte sich noch anzueignen. Aber bevor wir es lernen
können, geht dem erstmal die Schwäche (die man verändern möchte
oder auch nicht) voraus.
Wieso hat Schwäche also so einen schlechten Ruf? Wieso kann man
nicht einfach sagen „hey das hier ist etwas, das kann ich noch
nicht so gut (genauso wie chinesisch sprechen)“. Ist es neben dem
ständigen Bedürfnis zur Perfektion vielleicht auch die Angst davor
sich verletzbar machen zu können? Nach dem Motto: Wenn ich zu meinen
Schwächen stehe, zeige ich meinem Gegenüber einen möglichen
Angriffspunkt.
Für viele Menschen, stellt das Opfer-sein eine Schwäche da.
Sicherlich ist man in Situationen, in denen man zum Opfer wird, oft
schwächer (und sei es nur eine körperliche Unterlegenheit) als der
Angreifer. Ist diese Tatsache aber denn etwas, was man dem Opfer
vorwerfen könnte?
Tante
Wiki erklärt den Begriff Opfer wie folgt: „Drittens
hat „Opfer“ auch ein semantisches Feld, in dem es darum geht,
dass jemand durch jemanden oder durch etwas Schaden
erleidet oder umkommt, etwa das „Opfer“ eines Verkehrsunfalls
oder einer Lawine wird, oder dass Menschen „Opfer des Faschismus“
oder eines anderen gewalttätigen Regimes werden.“
Wenn mich jemand angreift und dabei
psychisch und/oder körperlich verletzt, dann ist doch die
Beschreibung, dass ich Schaden erlitten habe, durchaus treffend. In
welcher Weise sagt die Beschreibung, dass ich Schaden erlitten habe,
irgendwas über meine Persönlichkeit aus? Wie kommt es dazu, dass so
viele Menschen bei dem Begriff „Opfer“ in Abwehrhaltung geraten
oder es sogar als Beschimpfung benutzen? Wenn jemand sich dazu
entschließt mir Schaden zu zufügen, dann sagt das doch nichts über
mich, sondern eher was über ihn aus. Trotzdem hör ich den Begriff
„Täter“ nie als Schimpfwort, das Wort „Opfer“ hingegen
schon.
Ich weiß, dass viele Opfer das Wort
„Betroffene“ vorziehen, und ich versuche mich auch weitesgehend
danach zu richten (auch wenn mir noch immer mal wieder das Wort
„Opfer“ rausrutscht). Opfer impliziert, dass ich in einer
Situation die passive Leidempfängerin war, dass ich keine Kontrolle
oder Macht über die Situation hatte. Diese Vorstellung der Kontroll-
und Machtlosigkeit ist für viele unertragbar, daher scheint es
einfacher zu sagen, man sei „betroffen“ gewesen. Dazu kommt die
gesellschaftliche Wahrnehmung und Wertung des Opferbegriffs. Aber
auch hier, genauso wie bei manch anderen absurden „Beleidigungen“
(z.B. behindert, schwul, Mädchen, krank usw.), seh ich das Problem
nicht in dem Begriff an sich, sondern darin wie die Gesellschaft mit
dem Begriff umgeht und ihm umwertet. Opfer ist erstmal eine neutrale
Beschreibung für eine Situation in der man durch jemanden oder etwas
Schaden erlitten hat. Da die Gesellschaft aber so eine Angst vor
Schwäche hat, bzw. davor sich in irgendeiner Form verletzbar zu
machen, ist der Begriff zu einem Schimpfwort verkommen.
Dass ich in einer Situation zum Opfer
geworden bin, sagt nichts über meinen Charakter aus. Ich muss nicht
mein ganzes Leben lang machtlos bleiben, und zum Opfer geworden zu
sein, definiert mich und mein Wesen auch nicht.
Gerade im Bezug zu sexuellen
Belästigungen oder feministischen Themen im Allgemeinen (sehr gut
beobachtbar gewesen während der Sexismusdebatte letztes Jahr), muss
frau sich oft anhören „ihr macht doch alle Frauen zu Opfern“
oder „macht dich nicht selbst zum Opfer“. Gerade den letzten Satz
empfinde ich als sehr ignorant und verhöhnend. Man kann sich schon
per Defnition nicht selbst zum Opfer machen. Und überhaupt, wieso
sollte das jemand wollen? Niemand ist gerne Opfer. Opfer-sein
bedeutet Machtlosigkeit, fehlende Kontrolle über eine Situation, und
einen erlittenen Schaden. Dazu kommt die gesellschaftliche
Stigmatiserung von Opfern. Wieso sollte sich das irgendjemand
freiwillig aussuchen? Das macht absolut keinen Sinn.
Wir müssen weg kommen von dem
Gedanken, es sei beschämend Opfer zu sein oder Schwächen zu
haben/zeigen. Jeder Mensch hat Schwächen, das ist ganz natürlich
und keine Wertung über den Charakter eines Menschen.
Einen Schaden zu erleiden, also in
einer Situation ein Opfer zu sein, sagt nichts, aber auch gar nichts
über den Charakter eines Menschen aus. Dass ich einer Aktion
ausgesetzt war, definiert mich nicht, sondern sagt nur was über den
Akteur aus. Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen zum Opfer
geworden zu sein.
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