Heute, 10.09., ist Weltsuizidtag. Ich hab bereits Posts zu
folgenden Themen geschrieben: wie sich Depressionen anfühlen
(http://femipression.blogspot.de/2014/07/depression.html),
was man bei Suizidgedanken tun kann
(http://femipression.blogspot.de/2014/08/was-kann-ich-tun-bei-suizidgedanken.html),
Tipps für den Umgang mit Depressiven/Suizidalen
(http://femipression.blogspot.de/2014/08/dos-and-donts-im-umgang-mit.html),
und wie freiwillig ist eigentlich dieser „Freitod“
(http://femipression.blogspot.de/2014/08/ist-der-freitod-wirklich-so-frei.html).
Die Frage, wie es eigentlich ist suzidal zu sein, habe ich wenn
dann bisher nur indirekt in vorigen Posts erwähnt.
Wer aufmerksam meinen Blog liest, weiß also mittlerweile, dass
ich Depressionen habe, und wer ganz aufmerksam liest, wird vielleicht
auch schon gelesen haben, dass ich auch schon so meine Erfahrung mit
Suizidaität habe. Aber keine Sorge, von den Depressionen her geht es
mir besser, und suizidal bin ich auch nicht mehr. Dennoch möchte ich
euch einen kleinen Einblick, in die dunkelste Zeit meines Lebens
geben, zum Einen als Zeichen für Andere: Ihr seid nicht allein. Zum
Anderen, als eine Art Einblick für diejenigen, die nicht
nachvollziehen können, wie es ist suizidal zu sein. Oft wird nach
einem Suizid (sei es im persönlichen Umfeld oder bei einem
Prominenten) nach dem „warum“ gefragt, und Menschen die so
Gedanken selbst nie erlebt haben fragen sich, was einen Menschen dazu
bringen kann, sich das Leben zu nehmen. Vielleicht hilft dieser Text,
es ein bisschen besser zu verstehen.
Bereits mit 12 Jahren wünschte ich mir zum ersten Mal zu sterben.
Ich war die ganze Zeit unglücklich, ich hatte Probleme in der
Schule, familiär liefs auch nur so mäßig, Pubertät war ein
Arschloch und vermutlich hatte ich auch zu der Zeit schon meine erste
depressive Episode. Jahre später fand ich alte Tagebücher, die
Seiten waren voll mit dem Satz „ich will sterben“. Ich dachte
damals, es würde nie wieder besser werden, der Moment, die
Traurigkeit, der Frust, alles fühlte sich wie eine nie-endende
Ewigkeit an. Konkret umgesetzt hätte ich die Gedanken damals
allerdings noch nicht, so stark waren sie dann doch nicht. Es war
mehr ein theoretischer Wunsch, der ab und an in meinen Kopf kam.
Es wurde besser, und die Gedanken ans Sterben ließen mich viele
Jahre in Ruhe.
Ca. 10 Jahre später (mit zwischenduch noch einer kleineren
suizid-freien Episode), schlug die Depression wieder in voller Härte
zu. Wesentlich härter, als je zuvor und auch mit neuen Symptomen,
sodass ich sie erst gar nicht erkannte. Ich konnte nicht mehr aus dem
Haus raus, lag den ganzen Tag nur im Bett,
duschen/essen/trinken/spülen wurden zur extremen Herausforderung,
emotional fing ich bei komplett Gefühlstot an und endete irgendwann
in einer Hölle von emotionalen Qualen.
Irgendwannn fing ich eine ambulante Therapie an, probierte
sämtliche Medikamente durch, und begab mich in stationäre
Behandlung.
Kurz vor Beginn des ersten Klinikaufenthalt, fingen die
Suizidgedanken an. Sie sollten mich noch ganze zwei Jahre begleiten.
Mal waren sie stärker, mal waren sie schwächer. Es gab Tage an
denen dachte ich überhaupt nicht darüber nach, und dann gab es Tage
an denen konnte ich 24h an nichts anderes denken. Innerhalb dieser
zwei Jahre holten mich die Gedanken aber immer wieder ein. Immer wenn
ich mal für einen Moment dachte, ich wäre sie jetzt vielleicht los,
gings in meinem Kopf wieder los, dieser verführerische Wunsch
endlich Ruhe zu haben...Ruhe von allem, Ruhe von anderen Menschen,
Ruhe von mir selbst.
Es brauchte oft keinen konkreten Auslöser für die Gedanken.
Manchmal waren es Kleinigkeiten, die fatale Gedankenspiralen in Gang
brachten, manchmal war es Alkohol (den ich nie regelmäßig getrunken
habe, aber wenn ich trank dann zog er meine Stimmung und meine
Gedanken sofort runter an einen gefährlichen Punkt), und oft war es
einfach nur mein depressiver Allgemeinzustand mit dem ich nicht mehr
klar kam.
Auch die Gründe, wieso ich sterben wollte waren nicht immer
gleich:
Am Anfang war es oft das Gefühl in diese Welt nicht mehr
reinzugehören. Ich fühlte mich so anders, als die Anderen,
irgendwie wie eine merkwürdige Aussetzige die ausversehen die
falsche Planetenausfahrt genommen hatte. Als würde ich hier nicht
reinpassen und als gebe es keinen Platz auf dieser Welt für mich.
An anderen Tagen, wollte ich mich einfach nur nicht mehr schlecht
fühlen. Nicht mehr dahin vegitieren, nicht mehr nur exisitieren und
nicht leben, nicht mehr diese Gedankenspiralen und nicht mehr diese
Emotionen fühlen.
Dann wieder gab es Phasen, wo ich einfach nur eine generelle
Unlust aufs Leben hatte. Gerade in meiner letzten suizidalen Phase
(war so eine Art „kurzer Rückfall“) ging es mir von den
Depressionen her schon wieder ein bisschen besser, ich hatte weniger
emotionale-/Stimmungstiefs. Aber ich hatte auch keine Hochs. Wenn man
Depressionen hat, gewinnt man nicht nur an negativen Emotionen hinzu,
sondern mal verliert auch die Fährigkeit Positive zu empfinden. Ich
spürte keine Freunde, kein Spaß mehr, und konnte das Konzept Leben
einfach nicht nachvollziehen. Ich hatte einfach keine Lust, ich
wollte lieber meine Ruhe.
Ich war oft im wahrsten Sinne des Wortes lebensmüde – ich war
des Lebens müde. Atmen, existieren, das alles war anstrengend, ich
wollte einfach nur noch aussteigen und schlafen.
Ich befand mich, wie wahrscheinlich alle Suizidale, in einer
ständigen Ambivalenz: Auf der einen Seite ist da der Wunsch, der je
nachdem auch schon mal sehr stark oder gar überwältigend werden
kann, auf der anderen Seite ist der Überlebenstrieb den unbewusst
wohl jeder hat. Mein Überlebenstrieb kam hauptsächlich in Form von
Gedanken an meine Familie. Ich wollte meine Familie nicht verletzen,
ich wollte nicht, dass sie wegen mir traurig sind, ich wollte dass es
ihnen gut geht. Oft fühlte ich mich wie gefangen zwischen den
Welten: Ich konnte nicht mehr leben, durfte aber auch nicht sterben.
Diese hin- und hergerissenheit, dieses Gefühl des gefangen seins,
kann sehr quälend sein. Oft hab ich mir gewünscht, ich könnte
einfach eine Entscheidung treffen, und hätte nicht diese zwei Seiten
in mir.
Meine Suizidgedanken waren nicht immer gleich stark. Mal war es
nur ein leichter, theoretischer Wunsch, manchmal war der Wunsch
stärler, dann wieder fing ich an stundenlang nach Methoden zu
googlen, und manchmal bekam ich Angst vor mir selbst, weil die
Gedanken so konkret wurden. Ein Therapeut hat es mal wie eine Waage
ausgedrückt: Auf der einen Waagschale liegen die Sachen die für
einen Suizid sprechen, der Sterbewunsch usw. und auf der anderen
Waagschale liegt der Gedanke an meine Familie. Je nachdem welche
Waagschale gerade den Kampf der Ambivalenz dominierte, desto
schwächer oder stärker/gefährlicher waren meine Suizidgedanken.
Ich hatte auch schon mal wortwörtlich „Deadlines“, ein
bestimmtes Datum das ich festgelegt hatte um mich da umzubringen. Bei
solchen „Plänen“ kam immer irgendwas dazwischen, und ich tat es
dann doch nicht.
Gefährlicher war für mich der Affekt.
Bei meinem ersten Suizidversuch war ich in einer Klinik. Ich hatte
sogar direkt davor noch die diensthabende Schwester um Hilfe gefragt,
so ambivalent war ich selbst in dem Moment noch. Sie hatte aber glaub
ich nicht ganz erkannt, wie ernst die Situation wirklich schon war.
Irgendwann hatte ich keinen Nerv mehr weiter zu warten bis die
Beruhigungstabletten endlich wirkten, und so sammelte ich alles was
ich noch irgendwo an Medikamenten finden konnte und schmieß es ein.
Ich hatte einfach keine Lust mehr gehabt, ich war ausgelaugt.
Zunächst ging es mir in dieser Klinik besser, und ich war auf einem
guten Weg, als mich das extreme Tief, der erneute Stimmungseinbruch
überraschte und überwältigte. Ich war frustriert, da ich dachte es
würde mir langsam besser gehen, und dann gings mir doch wieder
schlechter. Ich hatte keine Lust mehr mich so zu fühlen, keine Lust
mehr dass es doch immer wieder bergab ging.
Bei meinem zweiten Suizidversuch war es ähnlich (nur dass ich da
nicht in einer Klinik, sondern zu Hause war): Ich war kurz vorher von
einem Klinikaufenthalt entlassen worden, war noch in tagesklinischer
Behandlung, und eigentlich gings mir besser. Eigentlich. Bis dann
wieder der Einbruch und das Tief kamen. Auch hier, hatte ich einfach
keine Lust mehr, dass es mir immer wieder schlecht ging. Keine Lust
mehr aufs Leben, keine Lust mehr auf Tiefs, ich war müde. Auch hier
war es eine Affekttat. Ich hatte es nicht geplant, ich hatte sogar
Stunden vorher noch jemandem versprochen „keinen Mist“ zu machen.
Ich schluckte eine Überdosis, legte mich aufs Bett und wartete.
Doch dann lief auf einmal ein Lied im Hintergrund, das mich an meine
Familie erinnerte, und ich rief den Rettungswagen.
In den Momenten in denen ich die Versuche machte, hatte ich den
Gedanken an meine Familie kurz weg gedrängt. Aber komplett
ausblenden konnte ich sie nie, die Ambivalenz ist selbst dann noch
da, wenn man den Versuch bereits gemacht hat. Auch wenn ich nicht in
die Köpfe anderer Menschen gucken kann, vermute ich, dass selbst
Robert Enke, Robin Williams, und alle anderen die an Suizidversuchen
gestorben sind, noch bis zum letzten Moment ein stück weit diese
Ambivalenz hat. Die andere Waagschale ist noch da, nur wiegt die Eine
irgendwann mehr.
Die Ambivalenz war auch der Grund, wieso es bei „nur“ zwei
Versuchen geblieben ist, und wieso ich oft freiwillig in die
Psychiatrie gefahren bin. Es gibt einen Punkt, an dem kann man noch
umkehren, wenn man ihn wahrnimmt und ernst nimmt. Es ist nicht immer
leicht den Punkt zu finden, zu unterscheiden was sind harmlose
Wünsche, wo wird’s gefährlich, und wo muss ich sofort handeln.
Wenn man den sofort-handeln-Punkt unterschätzt oder übersieht, dann
führt das dazu, dass die Gedanken irgendwann so schwer und drängend
werden, dass man die Gründen die eigentlich gegen den Suizid
sprechen würde (also z.B. Angehörige) relativiert und die
Suizidwaagschale immer schwerer wird, bis man sich irgendwann ggf.
selbst nicht mehr von einer Handlung abhalten kann.
Es kam mehr als einmal vor, dass ich in die Psychiatrie gefahren
bin, und kurz nach der Ankunft dachte „scheiße, wieso bist du
jetzt hier her gefahren, wieso hast du es nicht einfach gemacht“.
Hätte ich in solchen Momenten mich nicht rechtzeitig in
Sicherheit/in die Psychiatrie gebracht, wären es jetzt mehr als zwei
Versuche.
Mittlerweile würde ich zwar immer noch nicht sagen, dass ich mich
jeden Tag totaal freue am Leben zu sein, aber ich habe auch keine
Suizidgedanken mehr. Es ist ok, dass ich lebe und ich werd mal
schauen, was ich jetzt daraus machen kann.
Wie ich dahin gekommen bin, wo ich heute bin (auch wenns immer
noch nicht das Ziel ist, aber ich komm ihm immer näher), kann ich
gar nicht so genau sagen. Medikamente haben bei mir nie so richtig
angeschlagen, aber generell würd ich zur Therapie und in den meisten
Fällen auch zu Medikamenten raten.
Das Schwerste während es mir so schlecht ging, war die
Hoffnungslosigkeit. Sie ist ein typisches Symptom von Depressionen.
Man hat die tiefe Überzeugung, dass es nie wieder besser werden
kann. Für alle anderen vielleicht ja, aber man selbst wird für
immer in diesem tiefen Loch bleiben. Ich habe damals den Leuten nicht
geglaubt, die mir sagten, es wird besser. Daher weiß ich auch nicht,
ob mir jetzt diejenigen glauben, die das hier lesen und sich gerade
noch in so einem Loch befinden, aber ich sags trotzdem: Es wird
besser! Glaubt der beschissenen Hoffnungslosifkeit nicht, sucht euch
Hilfe, es wird besser!
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